Die Wahlgesetzgebung solle mindestens ein Jahr vor der Durchführung von Wahlen unverändert bleiben. So lautete die Empfehlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission). Doch das stieß in Bulgarien auf taube Ohren und seit Freitag vergangener Woche hat Bulgarien ein neues Wahlgesetz. Die Parlamentsmehrheit beherzigte weder die Empfehlungen noch erkannte sie die Argumente an, die im Mai anstehenden Europawahlen nach dem alten Wahlgesetz durchzuführen, das während der Regierungszeit der GERB-Partei verabschiedet wurde. Das jüngste Rund-Tisch-Gespräch zu diesem Thema zeigte mehr als deutlich, dass drei Monate vor den Wahlen noch über das Wahlgesetzbuch heftig gestritten wird – nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch auf Expertenebene. Die Widersprüche sind wirklich eklatant.
Die Bulgarische Sozialistische Partei, die federführend in der Ausarbeitung des neuen Gesetzes war, ist felsenfest davon überzeugt, dass es einen großen Schritt im Vergleich zur bisherigen Wahlgesetzgebung darstelle. So könne z.B. endlich für Persönlichkeiten gestimmt werden, indem die Wahllisten neu geordnet werden dürfen. Ferner solle der Druck der Wahlzettel und deren Verteilung auf die Wahllokale strengstens kontrolliert werden, so dass etwaigen Wahlbetrügereien noch vor Beginn der Wahlen ein Riegel vorgeschoben werde.
Die Mitte-Rechts-Parteien denken aber anders. Die GERB-Partei ist nicht mit der Art und Weise der Wahl von Persönlichkeiten einverstanden und meint, dass Voraussetzungen für die Verletzung des Wahlgeheimnisses geschaffen werden. Der Reformatoren-Block entdeckt seinerseits nicht die leiseste Spur einer auch nur angedeuteten Mehrheitswahl. Auch er ist der Ansicht, dass die Normung der Wahlzettel in keiner Weise das Wahlgeheimnis hüten werde.
Beobachter weisen darauf hin, dass die Chance zur Benennung einer aus Fachleuten bestehenden Wahlverwaltung verspielt worden sei, denn das neue Wahlgesetzbuch ändert nichts an der Bildung der Zentralen Wahlkommission, die die Parlamentsparteien nach dem Quotenprinzip zusammenstellen. D.h. in den kommenden fünf Jahren werde die Wahlkommission die politische Konstellation von heute widerspiegeln.
Für Diskussionen sorgte auch ein mögliches Veto auf das neue Wahlgesetzbuch, das der Staatspräsident Rossen Plewneliew einlegen könnte. Die Sozialisten rechnen stark damit, denn das neue Wahlgesetz enthebt den Präsidenten einiger Vollmachen, die gerade mit der Benennung der Zentralen Wahlkommission in Verbindung stehen. Plewneliew solle sein Veto binnen acht Tagen einlegen, um die daraus resultierenden Prozeduren nicht zu behindern, fordern die Sozialisten. Das Präsidialamt hält das jedoch für einen anmaßenden Druck und pocht auf die gesetzlich festgelegte Frist von 15 Tagen. Es könnte also durchaus der Fall eintreten, dass das neue Wahlgesetz zu spät wieder ins Parlament gelangen könnte, um nach neuerlicher Abstimmung bestätigt zu werden. In den Medien ist bereits die Meldung aufgetaucht, Experten seien damit beschäftigt, Änderungsvarianten für das alte Wahlgesetzbuch auszuarbeiten, falls es das neue nicht bis zu den Europawahlen schaffen sollte. Die Sozialisten pochen auf ihre Kalkulation und meinen, dass alles noch rechtzeitig unter Dach und Fach sein werde.
Die bis zu den Europawahlen verbleibenden drei Monate werden einigen Parteien nicht reichen, um sich auf die neuen Regelungen des neuen Wahlgesetzes einzustellen. Das gilt vor allem für jene Parteien, die sich noch nicht an Europawahlen beteiligt haben. Die regierende Bulgarische Sozialistische Partei rechnet mit sechs bis sieben Abgeordneten für das Europaparlament und behauptet, dass die aus ihren Reihen stammende Oppositionsbewegung ABV keinen einzigen Abgeordneten durchbringen werde. Die GERB-Partei wiederum werde nicht mehr Abgeordnete als die Sozialisten haben. Ob sie Recht behalten sollten, wird sich zeigen. Jetzt schon ist klar, dass es ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen geben wird.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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