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Jugendwelle Sofia: Die Sofioter Studentenstadt - die Stadt, die nie schläft

Foto: Архив
Am 8. Dezember feiern die Studenten in Bulgarien ihren offiziellen Feiertag. An den restlichen 364 Tagen des Jahres feiern sie unoffiziell. Wie das funktioniert, wollten wir selbst checken und machten uns auf den Weg in die Sofioter Studentenstadt.

Es ist vier Uhr in der Nacht. Überall Farben, Lichter und laute Musik. Aufregung und Gedönse an jeder Ecke. Unzählige Diskos und Kneipen, Pizzerien und Döner-Buden, Bowlingklubs, Kasinos und Bars – alles ist voll besetzt. Tausende junge Menschen sind unterwegs. Willkommen in der Sofioter Studentenstadt, in der Stadt, die nie schläft.

Am Fuße des Vitosha-Gebirges, etwa sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, wurde Sofias Stadtteil „Studentski grad“ – die „Studentenstadt“ - bereits zu Zeiten des Kommunismus gebaut. Die ruhige Gegend sollte als eine Art Uni-Campus dienen, wo die Bildungselite – zugezogen aus der Provinz - ungestört wohnen und lernen konnte.

Heute ist das Stadtviertel alles andere als ein ruhiger Campus. „Gaudeamus igitur“ – das Studentenlied „Als ich schlummernd lag“, das von ausschweifendem Nachtleben berichtet, kennen hier wenige, dafür aber praktizieren es alle. Über 30.000 Studenten wohnen in „Studentski grad“, nachts wächst die Bevölkerung bis auf 100.000. Junge Leute aus ganz Sofia stürmen jeden Abend in die Studentenstadt. Denn die Party hier kennt keine Grenzen und die Feier endet nie, bestätigt der Germanistikstudent Petar, der seit bereits drei Jahren in Studentenstadt wohnt.

„Studentski grad ist einer der interessantesten Orte in Sofia und jeder Student sollte das erleben. Die Studenten aus Sofia sind sicherlich etwas benachteiligt. Das Leben hier ist einmalig, man lernt selbstständig zu sein, die Party endet nie, und nirgendwo sonst kann man so viele junge Menschen kennenlernen.“

Ist die Studentenstadt aber bei so vielen Versuchungen der geeignete Ort zum Studieren und wird das Studium nicht so zur Nebensache? Jain, sagt die 21-jährige Polina, die in einem der Zimmer in „Studentski grad“ wohnt.

„Natürlich lenkt es ab, wenn auf dem Schreibtisch ein Haufen Arbeit liegt und die nächste Theke nur einige Meter davon entfernt ist. Außerdem kann man sich schwer aufs Lernen konzentrieren, wenn von draußen Lärm eindringt und ständig Leute durchs Zimmer laufen. Bei drei Mitbewohnern leidet natürlich am meisten die Privatsphäre.
Das Gute an „Studentski grad“ ist, dass die meisten Kommilitonen im nächsten Zimmer oder im nächsten Block wohnen, so dass man Hilfe oder fehlende Lektüre jederzeit finden kann. Außerdem müssen wir uns jedes Semester aufs Neue für die Zimmer bewerben, dann muss man den entsprechenden Notendurchschnitt haben, um sein Zimmer auch im nächsten Semester zu behalten.“
Die Zimmer sind unschlagbar günstig.. Etwa 20 Euro kalt kostet das Bett in einem 10 Quadratmeter Zimmer. Naja, dafür bekommt man nicht viel: Den spärlichen Raum muss man sich mit einem oder zwei Mitbewohnern, ohne die Kakalaken zu zählen, teilen. Sowie die schäbigen Möbel, den zerfetzten Teppich und das Bad aus der Steinzeit.
Auch von außen wirkt die Studentenstadt nicht unbedingt angenehm – graue Plattenbauten mit zerrissenen Fassaden, schlammige Schweizer-Käse-Straßen, die wenig gebliebenen Grünflächen sind mit Müll übersät.

In letzter Zeit ist das Viertel zum ständigen Bauplatz geworden – private Wohnblöcke, Läden oder Diskos schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Alternative - eine eigene Bude, ist aber für die meisten Studenten undenkbar, erklärt Peter.

„Die Miete für ein 1-Zimmer-Appartment in der Hauptstadt beginnt ab 100 Euro kalt. Deswegen bleibt das Leben in Studentenstadt trotz all der Unbequemlichkeiten die erste Wahl. Und schließlich ist es auch nicht so schlecht. Alle Läden haben zum Beispiel rund um die Uhr geöffnet. Auch wenn es in den Zimmern keine Küche gibt, in Studentenstadt gibt es genug Kantinen, wo man sich richtig satt für nur einen Euro essen kann. Das wichtigste aber ist, dass Studentski grad ein Ort mit Geist ist."

Ein Geist, der aber nicht nur lustig, sondern auch richtig gefährlich werden kann. Die Dauerfeier lockt neben den Studis auch Partymuffel und Möchtegern-Gangster aus ganz Sofia an. Schlägereien kommen jede Nacht vor. Im Dezember 2008 kam es sogar zu einem tragischen Zwischenfall – der 20jährige Student Stojan Baltow wurde vor einer Diskothek von einer Gruppe betrunkener Jugendlichen zu Tode geschlagen.

Der Fall rief eine Welle von Protesten unter den jungen Akademikern hervor. Sie organisierten Demonstrationen gegen die herrschende Gesetzlosigkeit und Kriminalität in der Studentenstadt. „Studentenstadt – den Studenten“ war die Losung. Die Studenten forderten erhöhte Polizei-Präsenz, Alkoholverbot, Schließung der illegalen Unterhaltungslokale und Errichtung von Bibliotheken und Sporteinrichtungen. Außerdem sollte die Infrastruktur im Viertel ausgebaut werden. so eine weitere Hauptforderung an die Regierenden.

Fast ein Jahr nach dem tragischen Fall sind weder die Mörder von Stojan Baltow verurteilt, noch sind auch nur ein Teil der Forderungen der Studenten erfüllt worden. Die Sofioter Studentenstadt schläft heute immer noch nicht. Oder ist nie aus ihrem gefährlichen Rausch erwacht. Eine Frage des Standpunktes.
По публикацията работи: Mihail Dimitrov


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